Heute im Porträt: Ueli Glarner
Als bei Jakob Störi und Ferdinand Kundert nach einem Turnfest in Schwanden 1895 die Idee reifte, in Hätzingen auch einen Turnverein zu gründen, ahnte wohl noch niemand, dass dieser Verein dereinst unzählige Siege, unter anderem fünf Mal den Schweizermeistertitel im Sektionsturnen, feiern würde. Die grössten Erfolge der Vereinsgeschichte sind mit einem Namen verbunden: Ueli Glarner. Er war nicht nur einer der Baumeister dieser Erfolge. Als Einzel- und Mannschaftssportler stand er in seiner 22-jährigen Wettkampfgeschichte über 30 mal auf dem obersten Treppchen und x-mal als Zweit- oder Drittplatzierter auf dem Podest.
Im Jahr 1939 geboren, galt es für Ueli schon in jungen Jahren anzupacken. Sportvereine für Jugendliche gab es nicht im Dorf. So blieb lediglich das «Tschüttele» und das Skifahren im Winter. Das skifahrerische Talent von Ueli war den Hätzinger Turnern nicht entgangen und so luden sie ihn 1955 zum Hätzinger Turnerskitag ein. Er dankte es mit dem Sieg im Riesenslalom. Die Turner wiederum mit der Aufnahme in den Turnverein. In den Folgejahren gab es zwar immer wieder Achtungserfolge, aber der Durchbruch gelang nie. Manchmal auch selbst «verschuldet». So 1959, als die Teilnahme am Eidgenössischen Turnfest in Basel durch unkameradschaftliches Verhalten von fünf Turnern, man liess sie als straf- oder erzieherische Massnahme zu Hause, in Frage gestellt war.
Präsident ja, aber...
Als der amtierende Präsident 1964 nach nur einem Jahr demissionierte, liess sich Ueli an die Spitze des Vereins wählen, nicht ohne vorher Bedingungen zu stellen. Seine Vision: Dass sich der TV Hätzingen einmal Schweizermeister nennen darf! Er wusste, da wartet ein hartes Stück Arbeit und der ganze Verein musste hinter seiner Vision stehen. Ueli muss sehr überzeugend gewesen sein. Er wurde zum Präsidenten gewählt. Denkt er an die Zeit zurück gerät er ins Schwärmen. Es waren keine Lippenbekenntnisse an der HV, der unbedingte Wille, das ehrgeizige Ziel zu erreichen, dafür viel Freizeit zu opfern, war ungebrochen.
Samstag war trainingsfrei, aber Sonntag?
Trotz der Abwanderung wegen fehlender Arbeitsstellen blieben die jungen Männer dem Turnverein treu. Zu gross war die Verlockung, dereinst im Unterland mit Stolz von einem Schweizermeistertitel zu erzählen, wenn man es denn schaffte. Dafür wurde vor den Wettkämpfen bis zu fünf Mal pro Woche trainiert. Und sie kamen, auch wenn sie in Zürich, Einsiedeln, Wädenswil oder Jona arbeiteten. Ausser am Samstag: Das war der einzige Tag, wo man mit der Frau gemeinsam einkaufen konnte. Auch der Sonntagmorgen war mit gewissen Einschränkungen nicht tabu. Der Pfarrer meinte, sie müssten ja nicht in die Kirche kommen, aber er wäre froh, wenn sie die Musik für die Zeit des Gottesdienstes abstellen könnten, damit die Gläubigen nicht von seiner Predigt abgelenkt würden. Damit konnten die Turner leben.
Chränzli und andere Einnahmequellen
Ob Chränzli, Glarner-Bündner Schwingertage oder Turnerskitage, die Hätzinger liessen keine Gelegenheit aus, um als Organisator zu amten und auf diesem Weg die Vereinskasse zu alimentieren. Unvergessen die Erneuerung des Bühnenbodens in der Turnhalle. Fritz Hefti brachte als Mitglied im Nationalkader einige Spitzenturner ans Chränzli. Es sollte eine Reckübung vorgeführt werden. Allein, der Bühnenboden war nicht stabil genug, um das Reck vertrauenswürdig zu verankern. Ueli lakonisch: «De händ dä anderscht a derä Stangä umägrissä.» Diese Schmach wollte man kein zweites Mal erleben. Für das nächste Chränzli musste ein neuer Boden her. Die Gemeindekasse war klamm, doch der Gemeindepräsident verwies ihn an den Förster: «Der hat doch sicher ein paar Bäume, die ihr fällen könnt.» Gesagt, getan. Die Bäume wurden gefällt, gesägt und der neue Bühnenboden wurde Tatsache.
Es geht aufwärts
Das intensive Training fing an, Früchte zu tragen. Das Ziel, den Schweizermeistertitel zu gewinnen, wurde für Ueli und den Oberturner ein Tanz auf der Rasierklinge. Der Entscheid, wer für das Sektionsturnen nominiert wird, bereitete ihnen öfters Bauchweh. Alle haben sie im Training ihr Bestes gegeben, aber nicht jeder war gleich talentiert. Kompromiss oder Erfolg? Doch wie alle bei Laune halten? Ueli seufzt, wie er das genau geschafft hat, kann er sich rückblickend nicht erklären: «Aber irgendwie hatte ich ein ‘Gschpüri’ dafür.» Er ist denn auch dankbar, dass die Nicht-Nominierten ihre Rolle als «Wasser- und Taschenschlepper» klaglos hingenommen haben. Auch sie waren fokussiert und wollten den Kameraden Ballast abnehmen, damit sie sich auf das Wesentliche, eine möglichst fehlerfreie Übung, konzentrieren konnten. Nach heutigem Verständnis: Ein positives Umfeld schaffen.
Der Befreiungsschlag
An den ersten Schweizer Meisterschaften im Sektionsturnen 1973 dann der grosse Befreiungsschlag. In der Gymnastik B (Körperschule) wurde der TV Hätzingen das erste Mal Schweizermeister! Der Bann war gebrochen!
Neun Jahre nachdem ein verschworener Haufen sich ein utopisch anmutendes Ziel gesetzt hatte. Wer nun dachte, dass sich die Hätzinger auf den Lorbeeren ausruhen, der irrte. Es wurde weiter geschwitzt, an den Übungen gefeilt und perfektioniert. Der Lohn: Vier weitere Schweizermeistertitel. Erst 1978 mussten sie sich mit dem zweiten Rang begnügen. Auch viele Turnfestsiege konnte der TV Hätzingen in den Jahren 1965 bis 1978 verzeichnen.
Noten und Proteste
Ehrgeizig war er schon, der Ueli Glarner. War er der Meinung, seine Turner wären zu schlecht benotet worden, konnte er sehr engagiert mit den Wertungsrichtern diskutieren, was den Verein am GlaBü in Ennenda beinahe zwei Strafpunkte Abzug gekostet hätte. «Ja, da habe ich überreagiert, habe mich beim Wertungsrichter dann entschuldigt. Denn ich konnte ja nicht zulassen, dass der Verein schlecht abschneidet, nur weil der Präsident sich mit dem Wertungsrichter uneins ist.» Zum Glück, denn die Hätzinger wurden trotz der vermeintlich schlechten Note am Barren noch Verbandsfestsieger. Auch ein anderer Protest ging in die Annalen ein. An den eidgenössischen Turnerskitagen in Wasen i.E. wurden die Hätzinger als Sieger aufgeführt. Ueli protestierte! Sie waren im Langlauf von Mannschaften überholt worden und konnten folglich nie und nimmer auf dem Podest sein. Dass sie nachträglich trotzdem als Dritte auf dem Podest standen, versteht er bis heute nicht: «De händ ä usinnigs Gnüel kha uf dem Rechnigsbüro.» Auch das war und ist Ueli. Gewinnen ja, aber ehrlich und fair. Gradlinig, ehrlich, konsequent, aber fair. Ob das das Geheimnis war, dass ihn die Kameraden so konsequent unterstützten, seinen Traum zu leben?
Und noch ein «Protest»
Liest man die turnerische Vita von Ueli Glarner könnte man dem Eindruck verfallen, er sei der «Mister TV Hätzingen» gewesen. Doch dagegen wehrt er sich, ganz Teamplayer, vehement. Ohne die tollen Vorstandskollegen, die loyalen Turnkameraden und die vielen helfenden Hände wäre seine Vision nie Realität geworden. Und dafür ist er unendlich dankbar. Dass die ehemaligen Mitstreiter noch heute mehrmals im Jahr zusammen etwas unternehmen, lässt nur einen Schluss zu: «Die händs guet kha mitenand.»
Ganz in Turner-Manier begnügte sich Ueli Glarner nicht «nur» mit dem Ehrenamt des Präsidenten und den erreichten Erfolgen. So darf er auf viele weitere Einsätze zugunsten der Turnsache zurückblicken:
1967–1996: 13 Jahre Mitglied der Skikommission GLTV und 16 Jahre deren Präsident
1968, 1969, 1971, 1976, 1977: Organisator und OK-Chef kantonale Turnerskitage in Hätzingen
1969: OK-Präsident Glarner-Bündner-Schwingertag in Hätzingen
1970: OK-Präsident 75-Jahr-Feier TV Hätzingen
1983: Technischer Leiter eidgenössische Turnerskitag in Elm
1995: OK-Mitglied 100-Jahr-Feier TV Hätzingen
Text: Ernst Schreiber
Bilder: Jubiläumsbroschüren TV Hätzingen 75 und 100 Jahre. zVg. von Ueli Glarner.