Ein Turnerinnenleben

Heute im Portrait: Klär Stüssi, Schwanden

Das Turnen wäre ihr eigentlich in die Wiege gelegt worden, sinniert die in Riedern aufgewachsene Klär Stüssi im Gespräch. Die Voraussetzungen wären durchaus vorhanden gewesen, ihr Vater war ein begnadeter Turner und engagierter Oberturner beim TV Schwanden. War die Turnhalle nicht verfügbar, trainierte er seine Schützlinge, angehende Kunstturner, schon mal in der heimischen Stube. Sie begann den Spagat am heimischen Treppengeländer und die Brücke auf dem Stubenboden zu üben. Anschauungsunterricht und Gradmesser gab es zu Hause. Irgendwann wollte sie das Erlernte aber auch in der Jugi zeigen, doch das war ihr zu langweilig. Sie wollte, noch nicht sechzehnjährig, in den Damenturnverein. Doch dafür war sie noch zu jung.

Die Wanderjahre

Mit Schulfranzösisch im Rucksack reiste sie in das beschauliche Dorf Château-d’Oex am Fuss der waadtländischen Alpen. Klär erkundigte sich bei ihrer Madame, die glücklicherweise Französisch und nicht nur das damals übliche, unverständliche Patoise sprach, nach einer Damenriege. Schon bald war sie aktives Mitglied. Die Vorbereitungen für den Chränzli-Reigen liefen bereits auf Hochtouren und Klär mittendrin. Der Reigen war ein voller Erfolg, ein erhebendes Gefühl und grosser Moment.

Nach ihrem Welschlandjahr trat sie der Damenriege Glarus bei. Doch nach der Lehre zog es sie wieder in die Ferne. Eine Stelle in Arosa winkte. Fürsorglich empfahl die Seniorchefin der jungen Klär, sich doch in der Jungen Kirche zu engagieren. Doch das war nicht ihre Welt, sie wollte turnen. So trat sie den Aroser Turnerinnen bei. Bei der traditionellen Sportstafette mit Start und Ziel bei der Eisbahn Arosa konnte Klär ihrer ersten Liebe, dem Rennen, wieder frönen. Die Stafette umfasste Rudern auf und Velofahren um den Aroser Obersee, Berglauf nach Maran und einen Hindernislauf. Eigenheit war, der Hindernislauf musste von einer Frau absolviert werden. Doch die Unterländer reisten meist ohne Frauen an und so wurden die Aroser Frauen, in den Worten von Klär, «ausgemietet». So rannte sie mit Vereinen aus Baar oder Hausen am Albis um den Sieg.

Am Abschlussabend der Skischule Arosa hatte die Damenriege traditionell einen Auftritt. Mit Federn geschmückt führten sie den Reigen über mehrere Jahre vor. Gelangweilt vom ewig Gleichen studierten die Turnerinnen etwas neues ein. Das Urteil des vorwiegend männlichen Publikums war einhellig: Man wollte wieder den «Federreigen» sehen. Ein Schelm, der schlechtes denkt und glaubt, es wären nur die Federn gewesen, welche die Gästeschar in Begeisterung versetzt hätte.

Zurück im Glarnerland

Nach drei Jahren in Arosa führte der Weg wieder zurück ins Glarnerland. Sie trat der Damenriege Glarus und ab 1974 dem FTV Schwanden bei. Eine Intensive und spannende Zeit. In besonderer Erinnerung bleibt Klär das BÜGLA in St. Moritz. Das Volleyballturnier der Seniorinnen wurde, zum Leidwesen der Turnerinnen, nach Samedan ausgelagert. Garstiges Wetter herrschte und der Höhe entsprechend frische Temperaturen. Der Wind blies heftig, das Netz blähte sich zu einem Segel auf. Zwei Auswechselspielerinnen versuchten ziemlich erfolglos, die Netzstangen nach aussen zu ziehen, um die Netzkantenhöhe auf mehr oder minder reglementskonformer Höhe zu halten. Da verkam das Resultat zur Nebensache.

Es folgten viele Turnfeste, davon einige Eidgenössische. Den Modetrends gehorchend änderten auch die Turntenue mit schöner Regelmässigkeit. Wobei schön?

In besonderer Erinnerung blieb ihr auch das ETF in Luzern 1991. Die Vorübung im Buchholz fand bei strahlendem Wetter statt. Man war stolz auf die einstudierte Vorführung. Fein säuberlich ausgerichtet schlugen alle im Takt das Tamburin, die Abläufe waren synchron und die Leiter voll des Lobes. Die Glarner Delegation war gerüstet für den grossen Tag. Allein, Petrus war an diesem Tag kein Turner. Es goss in Strömen, der Platz war aufgeweicht, man drohte im Morast zu versinken. Nicht nur die Turnerin:innen, auch der Klang des Tamburins «versoff» buchstäblich im prasselnden Regen und bei jedem Schlag drohte Wasser ins Gesicht zu spritzen. Zu guter Letzt war man stolz, den widerlichen Bedingungen getrotzt und eine den Umständen entsprechend gute Leistung abgeliefert zu haben.

Was war denn das eindrücklichste Erlebnis in der langen Turnkarriere? Klär muss nicht lange nachdenken. Mit strahlenden Augen kommt es wie aus der Pistole geschossen. Die Gymnastikvorführung am ETF 1996 in Bern, einstudiert von Trix Tschudi und Erika Schwab. An der Eröffnungsfeier wurde 34 Glarner Frauen die Ehre zuteil, das Frauenturnen im Glarnerland, ja den Kanton Glarus, zu präsentieren. Im vollbesetzten Stadion Wankdorf waren tausende, vor den Bildschirmen zu Hause abertausende von Augen auf sie gerichtet. Nur auf sie, die 34 Glarner Turnerinnen im grossen Rund des geschichtsträchtigen Stadions, wo schon Fussballweltmeister gekürt wurden. Es ist eine Mischung aus Stolz, Hühnerhaut und Ehrfurcht, wenn Klär davon erzählt. Und ganz viel Dankbarkeit, dass sie das erleben durfte.

Leiterin und helfende Hand

Im Ehrenamt anderen etwas zurückzugeben, was sie in jungen Jahren erfahren und empfangen durfte, für Werte einstehen und ein Lebensgefühl mit Gleichgesinnten teilen, das war und ist ihr wichtig. Am besten nach dem Motto der Gymnastikvorführung von 1996: frisch, fröhlich, fit.

Text: Ernst Schreiber
Bilder: zVg. von Klär Stüssi