Der steinige Weg der Turnerinnenriege Engi

Ein Rückblick auf die Anfänge des Frauenturnens in Engi

Auch wenn 1899 der erste Damenturnklub in Glarus, über 25 Jahre nach den ersten Männerturnvereinen, gegründet wurde, mussten während Jahrzehnten verkrustete Strukturen aufgebrochen, Vorurteile abgebaut und Ungerechtigkeiten aus dem Weg geräumt werden. Nicht nur die Gründerinnen auch die Folgegenerationen brauchten Mut, Willen und Durchhaltevermögen, dem Frauenturnen zur heutigen Akzeptanz zu verhelfen.

Die Verfasserin der Jubiläumsschrift «50 Jahre Turnerinnenriege Engi», Annarös Baumgartner-Stauffacher, blickte mit den Präsientinnen in ihrer Chronik auf die bewegte Geschichte zurück. In Auszügen möchten wir darüber berichten und haben Erinnerungen von Irmi Marti-Schrepfer, 1946 Gründungsmitglied, eingefügt.

Die Frau gehört an den Herd

Vreni Hämmerli Präsidentin 1952–1957

Die Anfänge des Frauenturnens in Engi reichen in die zwanziger Jahre zurück. Das männliche Geschlecht erfreute sich damals schon lange der Möglichkeit, im Verein körperliche Übungen betreiben zu dürfen. Vom Mädchen- oder Frauenturnen war zu jener Zeit überhaupt keine Rede. Die damaligen Regeln von Sitte und Anstand liessen Frauensport nicht zu. Die Frau gehörte an den Herd. Zudem schickte es sich nicht für eine junge Frau, sich der natürlichen Bewegungslust hinzugeben. Trotz aller Vorurteile wagte Martin Baumgartner-Knobel, alt Lehrer, in den zwanziger Jahren mit einigen Töchtern eine Reigengruppe zu betreiben. Verheiratete Frauen traf man aber selten an. Es dauerte noch beinahe zwanzig Jahre, bis einer Gründung nichts mehr im Wege stand.

Die Gründungsversammlung

Am 7. Dezember 1945 findet im Restaurant Adler in Engi eine ausserordentliche Hauptversammlung statt, deren Haupttraktandum die Gründung einer Turnerinnenriege ist. Nebst Freimitgliedern und Aktiven kann der Präsident des Turnvereins, Amo Rohr, auch 14 Frauen und Töchter von Engi begrüssen, die sich fürs Frauenturnen interessieren und fest entschlossen sind, falls die Gründung zustande kommt, der Riege beizutreten.

Nachdem Amo Rohr dem Verein die nötige Orientierung über die zu gründende Riege, die eine Untersektion des Turnvereins Engi werden soll, abgeschlossen hat, wird mit einem Landammann-Mehr die Turnerinnenriege Engi aus der Taufe gehoben. Um den Monatsbeitrag der Turnerinnen festzusetzen, wird zuerst über das Salär des Leiters abgestimmt. Nach Antrag des Vorstandes soll dies Fr. 35.-- betragen. Der Kant. Beitrag betrug Fr. 1.- pro Mitglied. Die Pflicht-Abonnemente der Schweiz. Frauenturnzeitung Fr. 9.--. Der Vorstand ist der Ansicht, dass mit einem Mitgliederbeitrag von Fr. 0.80 pro Monat die Kasse über Wasser gehalten werden könne. Das Protokoll der Gründungsversammlung schliesst mit dem Sprichwort:

«Gesunde Töchter, gesunde Mütter, gesundes Volk.»

Turnstunden, Turnfeste und Finanzen

Am 28. Januar 1946 fanden sich also die Turnerinnen von Engi erstmals in der Turnhalle ein. Mutig die einen, etwas zaghaft die anderen. An einer Monatsversammlung im April 1947 kamen die Schweizerischen Frauenturntage in Bern zur Sprache. Leider waren die Fr. 40.- kaum von einer Turnerin zu bezahlen. Es wäre bestimmt ein unvergessliches Erlebnis gewesen, doch die Kasse konnte noch keinen Zustupf geben. Die Präsidentin war deprimiert und verlangt Vorschläge für Bussen-Einführung da in letzter Zeit vermehrt unentschuldigte Absenzen zu verzeichnen waren und die laut Statuten bestimmt werden können. Bei nicht stichhaltigen Gründen sind folgende Bussen einzuziehen:

Bei Versammlungen: Fr. 2.--
Bei Anlässen: Fr. 5.--
Bei Festen: Fr. 10.--
Bei Turnfahrten: Fr. 2.--

Was würden wir heute wohl für einen Kassenbestand vorweisen können, wenn diese Regelung schon in Kraft stünde? Mit den Jahren wurde es immer schwieriger, die Stichhaltigkeit der Gründe zu beurteilen, darum verzichtete man allmählich ganz auf den Einzug von Bussen.

Irma Marti-Schrepfer

Präsidentin 1957–1963

Die heute 96-jährige Irma Marti-Schrepfer war eine der 14 Frauen, die sich 1945 an der Gründungsversammlung verpflichteten, dem Turnverein beizutreten. Ging das wirklich reibungslos über die Bühne wie im Gründungsprotokoll geschrieben (Landammann-Mehr)? Nein, da und dort war schon zu hören: «Jetz wänd die Wyber au nuch go turne.» So ganz traute man den Frauen nicht zu, einen Verein führen zu können. Bei jeder Sitzung waren fünf Gesandte vom Turnverein anwesend «zum Driischwätze».

Als ich im Jahre 1957 das Präsidentinnen-Amt übernahm, hatten wir mit etwelchen Schwierigkeiten zu kämpfen. Vor allem die finanzielle Seite war ein Punkt.

Heute finden wir es als selbstverständlich, dass wir unentgeltlich die Turnhalle benutzen können. Es mussten viele Hürden genommen werden, bis wir den Sportplatz und alle Turngeräte mitbenutzen durften. Kaum vorzustellen, dass unsere Vorgängerinnen nicht einmal einen eigenen Ball benutzen konnten, dass Reifen, Springseile und Keulen nicht einfach aus dem Kasten hervorgeholt werden konnten. Alles musste erspart und sehnsüchtig erwartet werden. Hier die Geschichte eines solchen Gerätes:

Wir wollten so gerne Geräte anschaffen, aber das Geld war immer knapp. Die Gesandten vom Turnverein mahnten uns immer wieder, das Geld auf der Bank zu mehren und die Turnstunde mit einfachen Mitteln zu gestalten. Was wir jetzt aber endlich wollten, war ein Plattenspieler. Alljährlich verschönerten wir damals das Schauturnen mit zwei Reigen. Mit einem Plattenspieler könnten wir doch diese mit der entsprechenden Musik einüben. Und er kam! Wir hüteten das Kleinod und behandelten es sorgfältig, Immerhin kostete es uns, trotz eines kleinen Beitrages vom Sport-Toto, eine Menge Geld. Aber Oha!! Der damalige TV-Präsident erklärte uns, der Plattenspieler sei auch ihnen zur Benützung zu überlassen, da wir als Untersektion keine eigenen Geräte hätten. Der Stammverein erhob also Anspruch auf den Plattenspieler. Ich habe darum gekämpft wie eine Henne um ihre Kücken, aber ich unterlag! Diesen Präsidenten habe ich mindestens damals ins Pfefferland gewünscht.

Schauturnen und Reisekasse

Alljährlich verschönerten wir damals das Schauturnen mit zwei Reigen: «Fürs Schauturne simmer grad guet gnueg gsi.» Aber ganz ohne Nebengeräusche ging es auch nach der Schwanenseeaufführung nicht: «Da hesch ja di ganz Underwösch gseh!»

Gerne hätten wir auch einmal einen grösseren Vereinsausflug gemacht, nicht nur auf die Alp. Doch die Kasse war Klamm. Aber die Frauen waren auch da kreativ: «Will mir Frauä nach em Turne grad hei sind und nüd id Beiz, i dere Ziit sind Frauä allgemein nüd ids Restaurant, händ mir äso chänne d Reisekassä ufstogge.»

Kein Geld – Kameradschaft – Kampfgeist – Küttigen

Rösi Bräm-Knobel, Präsidentin 1963–1976

Diese vier Stichwörter sollen meinen Beitrag zu den Erinnerungs-Aufzeichnungen begleiten.

Obschon zu meiner Präsidentinnen-Zeit die grössten Steine und die unliebsamsten Gedankengänge seit der Gründung der Turnerinnenriege Engi aus dem Weg geräumt waren, hatten wir doch noch einige Stürme zu erleben und etliche Hürden zu überspringen, bis auch wir Frauen als turnende Geschöpfe voll anerkannt waren.

Mitgliederwerbung

Nicht alle Einwohner unseres Bergtales konnten sich junge Frauen und Töchter mit nackten Armen, ohne Strümpfe und erst noch in kurzen Röcklein auf der Bühne oder auf einem Festplatz vorstellen. Während unserer unentbehrlichen Mitgliederwerbung hörten wir noch hin und wieder den Spruch: «Mir turned däheimed gnueg d'Stegä ufä und d'Stegä aba, i d'Rüti oder i dr´Maschinä.» Nebst dem Kampf um Mitglieder war auch unser Vereins-Kässeli unser ständiger Begleiter. Zur Erinnerung: Bei der Gründung der Riege im Jahre 1945 beschloss man einen Vereinsbeitrag von 80 Rp. pro Monat und «hoffte, damit die Kasse über Wasser zu halten». 1970 betrug der Mitglieder-Beitrag Fr. 1.50 pro Monat.

Nebeneinnahmen

Ohne Neben-Einnahmen hätte unser Verein nicht existieren können. Bald traten wir darum an einem Bataillonstag oder am Kant. Musikfest in Elm, am Hinterländer-Sängertag in Engi und an verschiedenen Kompagnie-Tagungen auf. An diesen Veranstaltungen erlebten wir viele fröhliche, unvergessliche und gemütliche Stunden und vor allem «erturnten» wir uns einen willkommenen Zustupf in die Vereinskasse. Bald konnten wir zu den Bällen, Keulen und Reifen auch den langersehnten Grammophon anschaffen. Der erkämpfte Plattenspieler blieb übrigens auch zu meiner Präsidentinnen-Zeit ein beliebtes Objekt der Ironie seitens des Stammvereins. Der damalige Turner-Präsident spielte etliche Jahre den «Chreueler-Samichlaus» für unsere Kinder. Nicht wenig erstaunt war ich an jenem Klausabend, als er auch mir ein Päckchen überreichte, mit der Bemerkung: «Nuch ettis für d'Mueter, für d’Dameriege-Präsidentin und zwar äs paar Nadlä für ä Grammophon.» Was kam zu Vorschein?

Drei lange, rostige Neunziger-Nägel!

Turnfest, «reine Männersache»?

Ein Turnfest möchte ich kurz beschreiben. Die schweizerischen Frauenturntage 1972 in Aarau blieben mir in besonders lebhafter Erinnerung. Der Verein entschied sich nach lang diskutiertem Wenn und Aber, an diesem Turnfest teilzunehmen. Wir meldeten sechs Einzelturnerinnen für den leichtathletischen Vierkampf, eine Volleyball-Gruppe sowie einige Turnerinnen für die Schluss-Vorführungen an. Nachdem ich einige Urlaubs-Gesuche für Lehrtöchter und Schülerinnen geschrieben hatte und die finanziellen Probleme alle gelöst waren, meldete sich eine muntere Schar zuhause ab, und zwar für 3 Tage. Das war natürlich eine weitere Besonderheit. Weil die Einzelturnerinnen schon am Freitagnachmittag anzutreten hatten, blieb nichts anderes übrig, als schon am Freitagmorgen die Reise zu beginnen. Stellt Euch vor, bis jetzt war sowas natürlich «reine Männersache». Diese Neuheit, dass nun plötzlich auch Frauen und Mädchen schon am Freitag an ein Turntest verreisen konnten, musste vielerorts erst «gründlich verdaut» werden.

Medaillen und Ehrungen

Nicht nur die guten turnerischen Leistungen zählten in Aarau, sondern das ganze Umfeld, die gute Kameradschaft, die drei freien Tage fern von Alltagssorgen, der Genuss des feinen Morgenessens im gemütlichen Café in Küttigen trugen zur guten Stimmung und zum unvergesslichen Erlebnis bei. Der Höhepunkt für die jungen Turnerinnen bildete selbstverständlich der Empfang der Medaillen für die sehr guten Einzelleistungen. Drei der sechs Angetretenen standen im ersten Drittel der schweizerischen Rangliste und erhielten die ersehnte Medaille. An der nachfolgenden Hauptversammlung erhielten die drei Medaillen-Gewinnerinnen aus den Händen vom TK-Präsidenten des Glarner Turnverbandes einen Erinnerungsbecher für ihre guten Leistungen an den Schweizerischen Frauenturntagen in Aarau. Engi sei der einzige Verein des Verbandes, der an diesem grossen Turnfest Einzelturnerinnen gestellt habe, und er gratulierte zu ihrem Mut und dem Erfolg. Und es hatte sich gelohnt.

Mitgliederwerbung – Gleichstellung – Gemeinsamkeit

Elfie Freitag-Luchsinger, Präsidentin 1981–1987

Bei meinem Amtsantritt legte ich das Schwergewicht hauptsächlich auf drei Faktoren. Zum einen sollten möglichst viele turnbegeisterte Engelerinnen den Weg zu uns in die Turnerinnenriege finden und von einer sinnvollen sportlichen Betätigung profitieren können. Das zweite Anliegen war die Gleichstellung mit dem Turnverein in finanzieller Hinsicht. Oft wurden wir bei der Verteilung von Gewinnen aus gemeinsamen Veranstaltungen als zweites Glied betrachtet. Drittens fand ich die getrennt durchgeführten Anlässe für die Kameradschaft nicht förderlich. Da oft beide Ehepartner oder auch zusätzliche Familienmitglieder in einem der beiden Vereine turnten, hielt ich es für angebracht, gewisse Aktivitäten zusammen zu organisieren. Überhaupt wurde mit der Zeit die Zusammenarbeit zwischen dem Turnverein und der Turnerinnenriege immer erspriesslicher.

Ausklang

Noch eine Menge wäre über das vergangene halbe Jahrhundert aufzuschreiben. Erfreuliche und weniger erfreuliche Episoden. Immer wieder bemerkte man die grosse Zusammengehörigkeit und die gute Kameradschaft unter den Turnerinnen. Die Freude am gemeinsamen Turnen, gemeinsam die Anlässe zu besuchen, zusammen eine Reise zu unternehmen und auch mal die Lust, ausserhalb der eigenen vier Wände zu klatschen, haben die vergangenen 50 Jahre unserer Vereinsgeschichte bestimmt. Möge das Turnen weiterhin Erfolg haben. Am Schluss liegt es mir daran, zu danken. Zu danken all jenen, die sich in den 50 Jahren für die Ideale unseres Vereins tatkräftig eingesetzt haben.

Gedanken

Grossen Dank allen Autorinnen, die vergangenen Zeiten ungeschminkt zu dokumentieren. Wie sich der Geist der Pionierinnen auf nachfolgende Generationen übertragen hat, wie sie das Erbe ihrer Vorkämpferinnen bewahren und ausbauen, macht ein Blick in die Leiter:innenliste deutlich. Auf allen Stufen und Chargen der heutigen Turnvereine und des GLTV sind die Frauen unverzichtbar. Und das ist gut so.

Texte: Präsidentinnen der Turnerinnenriege Engi (Jubiläumsschrift «50 Jahre Turnerinnenriege Engi») und Ernst Schreiber (Erinnerungen Irmi Marti)

Bilder: Jubiläumsschrift «50 Jahre TR Engi»
Zusammenschnitt: Ernst Schreiber